
Das Trio Aberratio Ictus um Vokalkünstlerin Rea Dubach präsentiert auf ihrem Debut Ictus Irritus eine avantgardistische Klangwelt mit Blick in den Norden.
Experimenteller Gesang trifft auf Geige und Gitarre – in dieser ungewöhnlichen Kombination werden individuelle Momentaufnahmen präsentiert. Die freie Herangehensweise des Jazz wird genutzt, ohne sich auf dessen Attitüden zu stützen. Genau genommen ist auf dem Album kein Jazz zu hören, aber muss es das überhaupt? Vielmehr ist es melancholische Musik, bei der leider nicht immer klar wird, wohin die MusikerInnen wollen. Sie erschließt sich nicht auf Anhieb, bietet dafür dem Geduldigen aber einen authentischen Ausdruck frei von Klischees. Die kreativen Eigenheiten werden nicht zuletzt in den lateinischen Songtiteln betont, die manchmal Himmelsrichtungen bezeichnen, ohne den ästhetischen Kompass zu fest zu norden.
Experimenteller Gesang trifft auf Geige und Gitarre
Ohne besonderen Einstieg beginnen die Klänge in Septentrio, als schwirrten sie immer schon herum. Entlang eines roten Fadens improvisieren die Instrumente auf der Suche nach diesem. Es ist für die Zuhörer fordernd, anstrengend, scharf und expressiv – hier spricht das Selbstverständnis und die Absicht des Trios. Gegen den lasziv-spielerischen Gesang spielt Laura Schuler ihre Geige oft sehr rau, um gegen Ende wieder in seichten Klängen zu münden. Solche und andere Kontraste bestimmen das Album. Im Titelstück Ictus Irritus präsentiert sich nach einem Solovokal-Einstieg eine Beatbox-Linie fernab vom Hip Hop. Neben der Geige arbeitet Ronny Graupe seine Gitarre souverän am Gesangsrhythmus ab, so auch später im Song Septentriones Meridies als konzeptuellen Bogen und große Klammer zwischen Nord und Süd, Mittagszeit in Island.
In Creatio Ex Nihilo, dem kürzesten Stück, wird besonders experimentell eine Klangwelt aus dem Nichts erschaffen. Die Geige sucht darin immer wieder ihre Melodielinie, gepaart mit Geräuschen in einer surrealen Atmosphäre. Die Vokalfragmente erinnern stilistisch zwar an Vorbilder wie Blixa Bargeld, Mike Patton u.a., nehmen aber in der kindlichen Verspieltheit eigene Konturen an.
Kontrast von ungemütlicher Spannung und freier Weite
Mit weichen, harmonischen Klängen setzt Sequi einen starken Kontrast. Erstaunlich erkennbare Kadenzführungen im Bach’schen Geist lösen hier erstmals auf dem Album die Spannung und bringen schöne Momente mit minimalistischer Flagolett-Flächen. Nicht nur in diesem Stück erinnert der Gesang an Björk, lediglich in weniger hohen Lagen und spitzer Akzentuierung.
Was die Musik nachmal nur schwer an Orientierung liefern kann (chromatisch getriebene Aufwärtsläufe in IVI bilden da noch die Ausnahme), unterstützt eine visuelle Ebene in kurzen Musikvideos. Mit surreal verwobenen Gestalten setzt die Band hier mit eindringlicher Bildsprache an, etwa mit Auszügen aus dem Song Fremebundus unter dem Titel „The Doll“.
Spätestens in Aegaeus Pelagus wird eine Gefahr zeitgenössischer Klangexperimente deutlich: Musik muss heutzutage alles dürfen, aber nicht alles muss vom Publikum verstanden und akzeptiert werden. So wird das Album unbestimmt in einer dark-noir-Stimmung beendet.
Das Album ist maßgeblich geprägt durch den Kontrast von ungemütlicher Spannung und freier Weite. Um es hintergründig zu genießen, ist es zu unnahbar fordernd. Um die Musik in Ruhe zu erforschen, drängt sie sich wiederum oft zu schrill auf. Als modernes Experiment mit Klangästhetik lohnt die CD auf jeden Fall eine Entdeckung, die ihm Livekontext womöglich durch den improvisierten Charakter mehr überzeugen kann.
Aberratio Ictus Ictus Irritus
Erscheinungsdatum: August 2015
Label: WhyPlayJazz, Greifswald
Besetzung:
Rea Dubach – Stimme
Laura Schuler – Geige
Ronny Graupe – Gitarre