
Was in den modernen Konzerthäusern längst funktioniert, gelingt jetzt ebenso im Jazz: Der offene Austausch mit Musikern und Komponisten aus China. Der Komponist Stefan Schultze lässt auf seiner neuen CD Erratic Wish Machine das Large Ensemble auf den chinesischen Musiker Wu Wei treffen. Heraus kommt frischer Bigband-Jazz mit asiatischem Kolorit auf hohem Niveau.
Avantgarde-Besuch aus China

„Wu Wei“ bezeichnet die daoistische Philosophie des absichtslosen Handelns. Auf diese Weise lässt der gleichnamige Solist seine Sheng und Jinghu in die Kompositionen von Schultze einfließen. Erfahrung sammelte Wu bereits weltweit im Jazz und der Neuen Musik, markant in Klaus Hinrich Stahmers Silence is the only music (2004). Ähnlich dieser Komposition, spielt die Sheng im eröffnenden Goodbye Part I weiche und ruhige Klänge, in die sich langsam die Bläserbesetzung einschmiegt. Respektvoll überlässt Schultze hier seinem preisgekrönten Gast die Begrüßung in die CD. Was als atmosphärische Fläche beginnt, in der später Klavier und Sheng korrespondieren, mündet in Part II in dezenten Groove. Hier treten repetitive Klavierflächen zu den Bläsermelodien, ohne sich in Richtung von „minimal music“-Klischeés zu verlieren. Die Stärke der Rhyhmusfraktion zeigt sich oft darin, die cleveren aber manchmal diffusen Melodielinien in eine Spur zu bringen (besonders auch in Trigger Happy).
Klangwelt(en) im Kopf
Der Titeltrack Erratic Wish Machine startet als expressiver Avantgarde-Jazz, der durch die herrvoragende Interaktion des Ensembles zur Geltung kommt. Spitze unisono-Akzente sitzen auf dem Punkt und es wirkt nie überfordernd. Solist Wu bringt hier scharfe Klänge aus seiner Sheng hervor. Als klanglicher Kontrast steht dazu der Track Old Six: Mit weichen, harmonischen Melodien zeigt hier Wu sein Instrument von der melancholischen Seite. Die Verwandtschaft zur Mundharmonika scheint dabei immer wieder durch. Die unerwartet getragenen E-Gitarrenklängen erinnern als warmer Teppich z.B. an Matiss Cudars. Der letzte Track Dorf im Kopf macht diese Assoziation allerdings zunichte und entlässt die Hörer in ausgelassenes Bigband-Feeling, vielleicht um zu sagen: Die (musikalische) Welt ist heutzutage offener, etwaige stilistische Einschränkungen sind wie Dörfer in den Köpfen der Komponisten.
Gelungene Synthese?
Schultze begeht mit seiner CD nicht den Fehler, eine exotische Musikkultur nachzuahmen oder längst bekannte Schubladen wie Weltmusik à la McLaughlin zu bedienen. Vielmehr ist es die Suche nach dem Fernen innerhalb des Bekannten. Aus westlicher Tradition schaut er gen Osten auf der Suche nach Synthese, die aber nur einseitig gelingt. Die gewagten harmonischen Experimente mit chinesischer Musik bleiben leider aus. Es ist überwiegend westliche Klangsprache, die oftmals Gefahr läuft, das chinesische Timbre nur schmückend aufzunehmen. Fuxing ist dabei die glückliche Ausnahme, indem Wu auf der zweisaitigen Jinghu (die kleinere Variante der Erhu in höherer Lage) mit dem Saxophon improvisiert.
Wer frische Bigband-Sounds gepaart mit ruhigen Klanglandschaften sucht, wird mit diesem Album auf jeden Fall richtig liegen.
Stefan Schultze – Large Ensemble feat. Wu Wei „Erratic Wish Machine“
Erscheinungsdatum: 2015
Label: WhyPlayJazz, Greifswald
Besetzung
Special guest: Wu Wei (Sheng & Jinghu)
Saxophone: Heiner Wiberny, Charlotte Greve, Stefan Karl Schmid, Peter Ehwald, Heiko Bidmon; Trompeten: Benny Brown & Felix Meyer, Florian Menzel, Volker Deglmann, John-Dennis Renken; Posaunen: Simon Harrer, Janning Trumann, Tim Hepburn, Jan Schreiner, Rhythmusgruppe: Martin Schulte, Jürgen Friedrich, Matthias Akeo Nowak, Daniel Schröteler; Kompositionen: Stefan Schultze